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Psychologie
Zum Glück können wir immer was tun.

Zukunftsplanung und Berufsorientierung in herausfordernden Zeiten – was tun, wenn die Welt verrückt spielt?  Nachgefragt bei Anian Geyer, einem Kinder-/Jugendlichenpsychotherapeuten aus München.

Anian, die weltweite Pandemie, der Krieg in der Ukraine und Lebenshaltungskosten, die davonlaufen: Was machen diese besonderen Umstände gerade mit jungen Leuten und ihren Vorstellungen von der Zukunft?

Sie verunsichern in erster Linie einmal. Junge Leute befinden sich in einer Findungsphase. Dabei geht es um Abgrenzung zu bisherigen Wertesystemen, die in der Regel von den Eltern bestimmt sind und Neuorientierung am Außen, etwa aus der eigenen Peer-Group. Wenn im Außen jetzt so viel Verunsicherung herrscht, macht das die Orientierung schwieriger. Von den alten „Werten“ will man weg, die neuen sind instabil. Die Zukunftsplanung wird so sehr schwierig bis unmöglich, was letztendlich Resignation und Stagnation bedeuten kann.

Die Pandemie und der Krieg stehen für Ausnahmesituationen, von denen man zumindest hoffen kann, dass sie irgendwann auch vorrübergehen. Wieviel Übersichtlichkeit und Planbarkeit braucht man für das Verarbeiten von krisenhaften Umständen?

Naja, ein wenig schon. Gerade in den heutigen Zeiten, in denen Fakten nicht mehr Fakten, sondern – auch politische – Auslegungsware sind. Wir brauchen ein gewisses Mindestmaß an faktischer Übereinkunft. Sonst sind wir orientierungslos. Vor allem kommt es aus meiner Sicht auf Selbstwirksamkeit an. Also habe ich das Gefühl, dass ich etwas verändern kann?

Wie soll das gehen?

Es geht nicht immer gleich um das ganz Große, aber zumindest um das, was meine eigene Perspektive anbelangt.

Perspektivlos werde ich, wenn ich keine Möglichkeiten der Selbstverwirklichung mehr sehe und mich nur noch in einem Korsett der Unmöglichkeiten und Unsicherheiten gefangen fühle.

Zum Glück können wir immer etwas tun und wenn es nur die Entscheidung ist, die Nachrichten abzuschalten, das Haus zu verlassen, jemanden zu treffen und/oder spazieren zu gehen. Das kann schon ein wenig helfen.

Wie schätzt du den Klimawandel in seiner Bedeutung für das Erleben der Gegenwart ein?

Er ist ein weiterer Faktor der Verunsicherung. Wir können alle ein wenig tun, kommen aber schnell in ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, wenn auf globaler beziehungsweise politischer Ebene gefühlt nichts passiert und die Nachrichten immer dramatischer werden. Ohnmacht und Hilflosigkeit sind hinsichtlich der Selbstverwirklichung nicht gerade hilfreich.

Was tun, wenn einem all die schlechten Nachrichten aufs Gemüt schlagen?

Abschalten und Ablenkung können helfen. Etwas tun, was man selbst entscheiden und umsetzen kann. Ich finde, die Medien machen einen weitgehend guten Job und den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als wäre nichts, ist natürlich auch nicht hilfreich. Aber teilweise habe ich auch das Gefühl, dass die Nachrichten mittlerweile eine Aneinanderreihung von negativen Berichterstattungen sind. Krieg, Klimawandel, Corona, um nur einige zu nennen. Ich habe mir neulich zum Beispiel die Good-News-Network-App heruntergeladen, die nur gute Nachrichten bringt. Kein Kitsch, sondern Fakten aus Wissenschaft, Wirtschaft, dem Tierreich, etc. Kann auch helfen.

Kann die Beschäftigung mit sinnstiftenden, grünen Berufen den Blick auf die eigene Zukunft schärfen und verbessern?

Absolut. Das fällt unter Selbstwirksamkeit.

Keiner von uns
kann alleine die Welt retten.

Aber wenn ich mir einen Teilbereich, wie eben zum Beispiel einen grünen Beruf aussuche, für den ich mich wirklich interessiere und da das Gefühl habe, etwas bewirken zu können, ist das wunderbar und gut für das Selbstwertgefühl und die beruflichen Perspektiven.

Wie schätzt du das gemeinsame Tun und Erleben mit Gleichaltrigen in einem mehrtägigen Workcamp für die eigene Orientierung in schwierigen Zeiten ein?

Es entspricht ein wenig dem Rausgehen, Abschalten und Leute treffen, was ich erwähnt hatte. Also absolut sinnvoll. Der Austausch mit anderen Gleichaltrigen, denen es ähnlich geht und die an derselben Schwelle zur Selbständigkeit im Leben stehen ist nie verkehrt. Sonst kocht man immer nur sein eigenes Süppchen. Wenn es dann noch zu einem produktiven Austausch mit gutem Input von außen kommt, ist das eine tolle Sache.

Wo wir gerade bei der Berufsorientierung sind: Was macht für dich den besonderen Reiz aus, im Psychologie-Bereich zu arbeiten und welche nachhaltigen Zukunftsperspektiven verbindest du damit?

Ich wollte immer mit Menschen arbeiten und helfen.
Das kann ich in meinem Beruf.

Darüber hinaus haben mich die analytische und vor allem individualpsychologische Sichtweise der Dinge und vor allem der intrapsychischen Prozesse schon immer fasziniert. Ein Gedankenkonstrukt, was auch Halt, Sicherheit und Orientierung gibt. Meine berufliche Zukunft ist, denke ich, gesichert. Menschen werden immer psychische Probleme haben und an manchen Punkten in ihrem Leben ins Straucheln kommen. Dann sollten sie die Möglichkeit erhalten, Hilfe zu bekommen. Solange dies sinnhafterweise und im Sinne der Prävention – auch finanziell – gesichert ist, geht mir die Arbeit sicher nicht aus.

Dipl. Sozpäd. (BA) Anian Geyer, Jahrgang 1981, ist Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut und betreibt in München-Trudering eine eigene Praxis. Nach einem Studium der Sozialen Arbeit hat der Hobbymusiker (Sänger in der Heavy-Metal Band Scavanger) die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten am Alfred-Adler-Institut in München absolviert. Nach Zwischenstationen unter anderem in der Jugendhilfe hat Anian 2020 seine Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (analytisch-tiefenpsychologisch fundiert) erhalten und ist seit 2022 Lehrbeauftragter am Alfred-Adler-Institut, München. Er folgt damit dem Motto des österreichischen Arztes und Psychotherapeuten Alfred Adler (1870 – 1937): „Der Mensch ist Künstler und Kunstwerk zugleich.“